Guenter Mallmann – Fachjournalist im DJV

Europcar gibt Gas

Mit neuen Ideen will das Traditionsunternehmen die Marktführerschaft in Deutschland übernehmen - Ein hochmodernes Call Center hebt den Kundenservice auf eine neue Ebene - Das Personal der 420 Servicestationen wird erheblich entlastet

Günter Mallmann

Freier Journalist, Düsseldorf

Das Geschäft mit Mietwagen ist hart umkämpft. Nicht von ungefähr kommt es, daß seit der Lockerung des Verbotes der vergleichenden Werbung es vor allem die Mietwagenunternehmen sind, die sich mit originellen und teilweise aggressiven Anzeigenkampagnen Kunden abjagen wollen. "Das Produkt Leihwagen ist emotional hoch befrachtet", sagt denn auch Ralf J. von Einem, bei der Europcar Autovermietung GmbH in Hamburg verantwortlich für die Führung des Call Center. Und: "Bei Leihwagen gibt es, wenn man mit diesem Geschäft ehrliches Geld verdienen will, eine für alle gültige Kalkulationsbasis. Das heißt, daß wir uns nur im Bereich des Service differenzieren können." Genau da setzt Europcar an. Dem Call Center kommt dabei die Rolle des Herzstücks zu.

"Wer hier einmal anruft, soll im Idealfall nach dem Gespräch den Hörer auflegen mit dem Gefühl, daß er noch nie einen so freundlichen und kompetenten Gesprächspartner gehabt hat", übertreibt von Einem ein bißchen, um die Zielsetzung deutlich zu machen. Der Telefon-Agent als "das" Aushängeschild des Unternehmens schlechthin...

Wer länger zurückdenkt, erinnert sich noch an das Blau von interRent. Als im Jahr 1988 das traditionsbehaftete Unternehmen, 1927 als "Motor-Verkehrs-Union Kommanditgesellschaft auf Aktien" in Hamburg erstmals ins Handelsregister eingetragen, mit Europcar fusionierte, wechselte die Firmenfarbe in hoffnungsvolles Lindgrün. Das Unternehmen wurde seither nicht schlechter, aber der Markt enger. Immer noch kommen 80 Prozent der Mietverträge von Geschäftsreisenden; die privaten Haushalte verharren bei ihrer zögerlichen Einstellung. Auch das will man mit der Service-Initiative ändern.

Zur Zeit verfügt Europcar mit 420 bundesweit gestreuten Leihwagenstationen über ein bestens organisiertes Netz. Die Flotte umfaßt rund 35.000 Fahrzeuge, angefangen beim luftigen Cabriolet, über Kleinwagen, solide Mittelklasse, luxuriöse Oberklasse, Lastkraftwagen und Campmobile bis hin zu den neuerdings auch verfügbaren exotischen Wagen wie Ferarri, Aston Martin oder Bentley. Und selbst der spartanischste Kleinwagen ist nicht älter als sechs Monate, also absolut auf dem Stand der Fahrzeug- und Sicherheitstechnik. Rund 1.500 Mitarbeiter kümmern sich um das Wohl der Kundschaft. Bei bis zu 30.000 Anmietungen pro Monat sind sie bestens ausgelastet. Alles eingeschlossen, also auch den Handel mit den absolut jungen "Gebrauchten", beläuft sich der Umsatz des Unternehmens auf ca. drei Milliarden Mark per anno.

Die Besitzer des Unternehmens, auf der einen Seite der Volkswagen-Konzern mit 50 Prozent und auf der andern der große französisch-belgische Hotellerie-Konzern Accor (Ibis, Novotel, sofitel und 3.000 Reisebüros unter dem Namen Carlson Wagonlit Travel) mit ebenfalls 50 Prozent, sorgen mit ihrer Marktmacht für eine gesunde und stabile Basis des Geschäfts. Aber: Beide Gesellschafter wollten und wollen, daß Europcar seinen Marktanteil von zur Zeit 17,5 Prozent in den nächsten Jahren erhöht.

Marktführerschaft ist das mittelfristige Ziel. Die strebt man an mit fetziger Werbung, einer (inzwischen preisgekrönten) Internet-Präsenz, mit technologisch revolutionären Produkten wie einem völlig neuartigen Selbstbedienungsterminal, vor allem aber mit einer totalen Restrukturierung des Kundenservice.

Schon in der Vergangenheit verfügte Europcar in der Hamburger Zentrale über ein bestens organisiertes Call Center, allerdings nicht mit einer einheitlichen Telefonnummer. Aus Kundensicht stellte sich die Möglichkeit, über diesen Weg einen Wagen zu reservieren, im Pannenfall Hilfe anzufordern oder ganz einfach nur eine Preisauskunft einzuholen, als zweite Wahl dar. Im wörtlichen Sinn. Denn zunächst hat jeder Interessent oder potentielle Mieter bei der nächstgelegenen Europcar-Station angerufen. "Wir haben einfach", erklärt von Einem, "in unserer Selbstdarstellung diesen Kommunikationsweg nicht deutlich genug herausgestellt und es hingenommen, daß unsere Mitarbeiter vor Ort durch ständige Anrufe in ihrer eigentlichen Arbeit gestört wurden". Erklärend muß man vielleicht auch hinzufügen, daß die Zeit noch nicht reif für einen anderen Weg war. "Die Kundenakzeptanz ist erst mit der revolutionären Entwicklung des ganzen Kommunikationsmarktes in eine Dimension gewachsen, die die emotionalen Voraussetzungen für ein zentrales System geschaffen hat", so seine Einschätzung.

"Die Komplexität gebot die Inanspruchnahme von Hilfe"

Die fundamentalen Einflüsse des angedachten Großprojektes auf die Marktaufstellung von Europcar würden sich nur, das war der Geschäftsleitung an der Tangstedter Landstraße klar, mit entsprechendem Sachverstand von außerhalb abschätzen lassen. "Projekte, die so tief in alle Bereiche des Geschäfts hineinwirken, kann man nicht in einigen hausinternen Diskussionsrunden vorbereiten", betont denn auch Klaus Singelmann, Europcar-Leiter für Büro- und Telekommunikation. Es lag auf der Hand, für dieses Thema einen Arbeitskreis zu konstituieren, dem außer eigenen Mitarbeitern ein spezialisiertes Beratungsunternehmen und Siemens angehören sollten. Warum Siemens? Siemens war einerseits als Lieferant der zentralen Telekommunikationsanlage seit fünf Jahren mit den Verhältnissen im Haus bestens vertraut. Andererseits konnten die Münchener auf ihre Kompetenz bei der Realisierung von Call Centern verweisen.

Der Arbeitskreis nahm vor Jahresfrist seine Arbeit auf. Zielvorgabe war, ein Pflichtenheft für eine Ausschreibung des Projektes zu erstellen. Grundbedingung: die Ausschreibung sollte "herstellerneutral" sein. "Wir wollten unter allen Umständen vermeiden", lacht Singelmann, "daß am Ende zwangsläufig und einzig eine Zusammenarbeit mit Siemens herauskommt!"

Schließlich war von Anfang an vorgesehen, daß ein weiteres, völlig neutrales Beratungsunternehmen die Arbeit des Gremiums überprüfen und gegebenenfalls im Detail ändern würde.

Die schon erwähnte Komplexität des Projektes "Call Center" machte es nötig, in mehrtägigen Workshops einerseits Wissen über technologische Möglichkeiten der Gegenwart und der absehbaren Zukunft an alle Mitglieder des Projektteams zu vermitteln und andererseits die schon vorhandenen Informationen aus dem Betrieb des aktuellen Call Centers und den anderen verfügbaren Quellen zu gliedern und daraus Perspektiven für die zukünftige Entwicklung abzuleiten. "Unter anderem mußten wir dafür sorgen, daß alle Beteiligten in diesen Gesprächen einen vergleichbaren Kenntnisstand hatten. Wir haben deshalb sogar ein ausführliches Glossar aller technischen Begriffe erstellt", erinnert sich Helmut Diebold, auf Siemens-Seite Account Manager für das Projekt.

Die in gemeinsamer Arbeit verabschiedete neue Lösung sah in den Grundzügen folgendes vor: Externe Anrufer, das sind Kunden, Interessenten, Partner und Lieferanten, rufen unter der einheitlichen Nummer 0180-58000 an. (Ausgenommen ist die Kommunikation mit den Stationen an den deutschen Flughäfen, die über eine eigene Service-Nummer verfügen.) Ein IVR-System (interactive voice response) selektiert im computergestützten Dialog mittels Spracherkennung die Anrufer nach den verschiedenen Gesprächswünschen (zum Beispiel Reservierung Inland oder Ausland, Hilfe bei Problemen, Sonstiges) und verbindet automatisch mit dem entsprechenden Telefon-Agenten oder leitet den Anruf an das Backoffice weiter. Ziel: Mindestens 80 Prozent aller Anrufe sollen bei diesem Telefonkontakt vom Agenten im Frontoffice abschließend bearbeitet werden.

"Höchste Flexibilität war eine Grundvoraussetzung"

Die Integration eines mit weitreichenden Funktionalitäten ausgestatteten Call Centers in einen Betrieb, der über das ganze Jahr hin keine Minute Stillstand verkraftet, kann nicht mit einem big bang erfolgen. Und noch weniger kann sie durch einen monatelangen Testlauf auf perfekte Funktion geprüft werden. "Wenn man nicht einmal in einer x-beliebigen Nacht von Samstag auf Sonntag einige Stunden Ruhe hat, muß man in seinem Einführungskonzept hohe Flexibilität des Übergangs von alt auf neu zwingend festschreiben", erläutert von Einem die Tatsache, daß bei aller Dickleibigkeit des Pflichtenhefts an einigen Stellen dennoch die Bemerkung "zur Zeit nicht spezifiziert" steht. "Es geht dabei um Funktionen, die wir nach und nach integrieren wollen". Dazu zählt zum Beispiel die Einbindung der Kunden- und Lieferantenkontakte via Fax, E-mail und Brief gemäß dem angestrebten Ziel, den Agenten zum "single point of contact" zu machen.

Neben dem Kernpunkt "Flexibilität" stehen als weitere wichtige Kriterien "Wirtschaftlichkeit", "Technische Stabilität", "Erweiterungsfähigkeit", "Nachweis über Erfahrung mit Produkt und Dienstleistung", "Fehlerhandling" und letztlich auch "Preis" im Ausschreibungstext, den laut vereinbarter Vorgehensweise das Hamburger Beratungsunternehmen mendo consult abschließend redigiert hat. mendo consult wird auch die weitere Entwicklung des Projektes begleiten.

Von sieben internationalen Telekommunikationsunternehmen, die zur Abgabe von Angeboten aufgefordert waren, blieben letztlich zwei übrig. Den Zuschlag als Generalunternehmer bekam Siemens. Call Center-Leiter von Einem gesteht freimütig anfängliche Vorbehalte gegen diese Entscheidung: "In meiner vorherigen Tätigkeit als Leiter eines wesentlich größeren Call Centers hatte ich öfter Ärger mit einem Fremdprodukt, das an die Siemens-Kommunikations-Anlage angebunden war." Konkret meint er damit das IVR-System. Aber: "Siemens hat hier den Hersteller gewechselt und mit dem Münchener Unternehmen Crealog einen neuen, sehr kompetenten Partner - das Problem ist damit ausgeräumt." Zusätzlich gibt es klare Verantwortlichkeiten, zum Beispiel einen einzigen Ansprechpartner bei Fehlfunktionen. Von Einem kann, wie er zufrieden feststellt, "inzwischen wieder ruhig schlafen."

"Das System paßt sich dem Menschen an - und nicht umgekehrt!"

Bei näherem Hinsehen hat von Einem sogar einen fast philosophischen Aspekt herausgefunden, der die Siemens-Lösung im Vergleich mit anderen Konzepten entscheidend besser aussehen läßt. Es geht dabei um die Person des Telefon-Agenten. Eigentlich ein Thema aus dem Bereich der Personalführung, aber "wenn man das als Manager ernst nimmt, kann es einem nicht egal sein, ob das Gesamtsystem dabei im Wege steht oder Unterstützung bietet", sagt der Chef von zur Zeit rund 90 Telefon-Agenten.

Worum geht es?

Nach dem Europcar-Konzept ist der Telefon-Agent die Visitenkarte des Unternehmens. Seine Sachkompetenz, sein Gespür für die momentane Laune des ihm persönlich unbekannten Anrufers, seine immer wieder geforderte positive Einstellung zum Gesprächspartner sind ein wichtiges Kapital. "Ihm muß ich durch perfekte und unauffällige Technik den Rücken frei halten und ihn da einsetzen, wo seine wahre Kompetenz liegt", umreißt von Einem sein Führungskonzept. Und: "Andere, vor allem amerikanische Systeme beschreiben das Profil eines Call Center Arbeitsplatzes, unabhängig von der echten Persönlichkeit. Wenn nun eine meiner vier Supervisorinnen oder ich selbst feststelle, daß diese Persönlichkeit an anderer Stelle viel kompetenter arbeiten könnte, habe ich kaum eine Chance, das ad hoc zu ändern. Bei dem Siemens-Konzept ordne ich per Mausklick diesem Mitarbeiter/dieser Mitarbeiterin eine andere Aufgabe zu!" Und ganz nebenbei gibt er einen Eindruck von diesem nutzbaren Leistungspotential: "Wir haben Agenten, die sich auf deutschen Flughäfen so gut auskennen, daß sie einen Anrufer am Handy vom Ankunftsgate zum Europcar-Schalter dirigieren können. Aber das muß ich als Chef zunächst einmal wissen, sonst kann ich diesen Mann niemals dort einsetzen, wo er dieses Wissen einbringen kann - und dabei muß mich mein System unterstützen. Mehr noch: Es muß mir permanent erlauben, einen Überblick zu bekommen über Auslastung, über verlorene Gespräche, über das Verhalten unserer Kunden. All das leistet unsere Siemens-Lösung perfekt!"

Auf der Basis des Kommunikationsservers Hicom 300E verfügt Europcar in der neuen Call Center Anlage zunächst über 50 Arbeitsplätze, an denen 90 bestens geschulte Mitarbeiter/innen rund um die Uhr den Kunden zur Verfügung stehen. In absoluten Spitzenzeiten können, auch das erlaubt das System, sogar noch Mitarbeiter aus anderen Abteilungen auf das System aufgeschaltet werden. Ziel ist es, möglichst keinen Anruf zu verlieren. Ziel ist weiterhin, jedem Anrufer bei seinem Anliegen kompetent und schnell zu helfen "Nur auf diesem Weg erreichen wir die eindeutige Marktführerschaft", sagt von Einem. Die 0180-58000 soll eine Nummer werden, die sich deutschen Mietwagenfahrern einprägt...

© Günter Mallmann
November 1999