Guenter Mallmann – Fachjournalist im DJV

Was in James-Bond-Filmen gruselige Fiktion ist, könnte sich auch in Wirklichkeit abspielen:

Bill Gates und die Macht

Der reichste Mann Amerikas und wohl auch der Erde steht in den USA vor Gericht. Er soll, so die Anklage, mit Knebelverträgen und reichlich unsittlichen Angeboten versucht haben, seinen Wettbewerber im wohl heißesten Zukunftsmarkt der Welt aus dem Rennen zu schmeißen.

Monopole, also die Übermacht einzelner Unternehmen in einem nationalen oder weltweiten Markt, waren und sind nie gut. Besonders die Amerikaner hatten schon immer etwas gegen zu viel Macht in einer Hand. Deshalb haben sie nach dem Krieg die mächtige IG Farben hier bei uns zerschlagen und im eigenen Land den alles beherrschenden Telefonriesen AT&T in rechtlich selbständige Gesellschaften zerlegt. Insofern steht der Prozeß gegen Bill Gates und seine Firma Microsoft in einer langen und guten Tradition.

Aber: Qualitativ hat der Fall Gates eine andere, eminent politische Dimension, die uns eigentlich alle frösteln lassen müßte. Worum geht es?

Es geht um den sogenannten "Browser". Das ist, laienhaft gesprochen, nichts anderes als das Eingangstor in die neue Welt der Kommunikation über das Internet. Wer heute von seinem PC aus den Fahrplan der Bahn, das Kinoprogramm von Düsseldorf, Informationen über den neuen Bundestag oder den Stand der VW-Aktie abfragen will, braucht dazu neben allen anderen technischen Einrichtungen einen Browser. Mit dem "Netscape Navigator" des genialischen Studenten Marc Andreessen hatte sich vor Jahren schon gleichsam über Nacht ein Spitzenreiter etabliert, der - da auch noch kostenlos - das Zeug hatte, ein Weltstandard zu werden.

Das konnte einer wie Bill Gates nicht so einfach hinnehmen. So ließ er von seinen Softwaretruppen den "Internet Explorer" entwickeln, der zwar ähnliches leistet, aber kaum einen Navigator-Benutzer zum Umsteigen hätte verlocken können. Diesem Ziel kam Gates auf zwei Wegen näher: Einmal verzahnte er seinen Browser immer enger mit seiner den Weltmarkt beherrschenden PC-Betriebssystem-Palette "Windows", und zum zweiten versuchte er, was jetzt die Justiz schlüssig zu beweisen sucht, große PC-Hersteller dazu zu bewegen, ihre Geräte schon ab Fabrik mit seinem Explorer auszustatten. Natürlich hätte oder hat dann kein Neueinsteiger mehr ein Interesse daran, überhaupt zu prüfen, ob nicht der Navigator von Netscape eine vielleicht sogar bessere Alternative sein könnte.

Bis zu diesem Punkt könnte sich der unbedarfte Beobachter der Computerszene eigentlich gemütlich zurücklehnen und zusehen, wie ein Gigant einen kleinen Wettbewerber fertig macht. Das ist schließlich das Gesetz des Kapitalismus.

Die politischen Dimensionen hinter diesem Prozeß offenbaren sich erst bei näherem Hinsehen.

Schon mit seinen Betriebssystemen Windows 95/98, Windows CE und Windows NT hat Bill Gates eine weltweite Dominanz, die es so noch in keinem Bereich der Wirtschaft auch nur annähernd gab. Mehr als 90 Prozent aller PCs laufen unter Windows, und im Feld der größeren Rechner in Wirtschaft und Verwaltung, bei den sogenannten "Client-/Server-Systemen", gewinnt Windows NT zunehmend an Boden. Marktanteil: ca. 40 Prozent. Bill Gates hat damit heute schon die Macht, uns alle an die Leine zu nehmen. Faktisch kann er ganz nach Laune viele Millionen Computer-Nutzer zwingen, alle sechs oder zwölf Monate einige hundert Mark für eine neue Version seines Betriebsystems auszugeben. Er kann darüber hinaus die Entwicklung ganz nach Belieben steuern.

Das ist nichts anderes als eine Konzentration von Macht, neben der die Gestaltungsmöglichkeiten selbst der politischen Führer von Großmächten geradezu lächerlich scheinen.

Eine neue und fast unvorstellbare Qualität dieser ungeheuerlichen Macht würde (oder wird?) es mit sich bringen, wenn es Microsoft tatsächlich gelingen sollte, ungeschoren aus dem Prozeß hervorzugehen.

Das Tempo, mit dem das Internet wächst, ist atemberaubend. Fast jede Sekunde klinkt sich irgendwo auf der Welt ein neuer Teilnehmer ein, in wenigen Jahren wird das Netz der Netze so selbstverständlich sein wie heute das Telefon. Und Bill Gates wird neben jedem Bildschirm sitzen und die Hand aufhalten? Vielleicht. Oder auch nicht...

Aber darauf kommt es letztlich auch nicht mehr an. Ob das Vermögen von Gates monatlich oder täglich durch Einnahmen aus dem Vertrieb und (vielleicht?) der Nutzung seines Internet-Zugangs um eine Milliarde Dollar steigt, ist nebensächlich.

Aber: Billy oder sein Nachfolger als Chef von Microsoft (Gates wird ja wohl nicht ewig leben) könnte auf die Idee kommen, den Explorer so zu programmieren, daß er nur Zugang zu Informationen gestattet, die ihm genehm sind. Oder ungefragt und automatisch bei jedem Einsatz eine Botschaft seines Herrn auf den Bildschirm projiziert. Oder zwingend und unumgänglich Informationen über das Nutzungsverhalten eines jeden Internet-Benutzers in einer nur ihm zugänglichen Datenbank registriert. Daten also, die uns wirklich und endgültig zu "gläsernen Menschen" machen würden und die Macht von Microsoft ins Unermeßliche steigern würden.

Horrorvisionen dieser Art sind alles andere als science fiction. Technisch machbar sind sie alle. Und der Gesetzgeber? Wird/kann er denn da nicht einschreiten? In einigen wenigen Jahren bestimmt nicht mehr. Dann wird die weltumspannende faktische Macht von Gates nicht mehr politisch zu steuern sein.

Vielleicht ist der gegenwärtige Prozeß die letzte, die allerletzte Chance, die Übernahme des Kommandos durch Bill Gates zu verhindern.

© Günter Mallmann
Januar 1999